Länderprofil Arbeitsleben für Österreich
Dieses Profil beschreibt die wesentlichen Merkmale des Arbeitslebens in Österreich. Ziel ist es, relevante Hintergrundinformationen zu den Strukturen, Institutionen, Akteuren und relevanten Regelungen des Arbeitslebens zu liefern.
Dazu gehören Indikatoren, Daten und Regulierungssysteme zu folgenden Aspekten: Akteure und Institutionen, kollektive und individuelle Beschäftigungsbeziehungen, Gesundheit und Wohlbefinden, Entlohnung, Arbeitszeit, Qualifikationen und Ausbildung sowie Gleichstellung und Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz. Die Profile werden systematisch alle zwei Jahre aktualisiert.
Das zentrale Anliegen der Arbeitsbeziehungen ist die kollektive Governance in Bezug auf Arbeit und Beschäftigung. Dieser Abschnitt befasst sich mit den Kollektivverhandlungen in Österreich.
In Österreich ist der Abschluss von Kollektivverträgen im Wesentlichen auf den privaten Sektor beschränkt. Diese Vereinbarungen werden fast ausnahmslos auf sektoraler Ebene mehrerer Arbeitgeber ausgehandelt. Die Gewerkschaften der Arbeiter und der Angestellten bilden in der Regel eine Verhandlungsgemeinschaft, so dass die vereinbarten Lohnerhöhungen in den meisten Fällen für beide Gruppen von Arbeitnehmern gleich sind. Die meisten Branchentarifverträge erstrecken sich auf das gesamte Staatsgebiet und werden in einigen Fällen auch aufLandesebene abgeschlossen. Tarifverträge sind rechtlich bindend. Seit Ende der 1980er Jahre ist eine Tendenz zur "organisierten Dezentralisierung" der Tarifverhandlungen zu beobachten. Infolgedessen hat die zwischen den Sozialpartnern auf Unternehmensebene geschlossene Betriebsvereinbarung als Instrument zur Regelung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen an Bedeutung gewonnen. Dies ist eine Folge der allgemeinen Tendenz zu mehr Flexibilität, insbesondere in Bezug auf die Arbeitszeit und – bis zu einem gewissen Grad – die Bezahlung.
Österreichs tarifvertraglich bereinigter Deckungsgrad für öffentlich Bedienstete wird auf über 95 % geschätzt. Der Deckungsgrad ist – im internationalen Vergleich – extrem hoch, denn fast alle Verträge werden von Untereinheiten der WKÖ abgeschlossen, deren Mitgliedschaft verpflichtend ist.
In Österreich werden Kollektivverträge im Allgemeinen und Kollektivtarifverträge im Besonderen – fast ausnahmslos – auf sektoraler Ebene mehrerer Arbeitgeber ausgehandelt. Denn das österreichische Arbeitsrecht räumt das Recht auf Kollektivverhandlungen – mit nur sehr wenigen Ausnahmen – den Parteien oberhalb der Unternehmensebene ein. Die auf Unternehmensebene abgeschlossenen Tarifverträge erstrecken sich höchstens auf 1 % bis 2 % aller Arbeitnehmer, die unter einen Tarifvertrag fallen (Schätzung des nationalen Korrespondenten). Nationale sektorübergreifende Vereinbarungen sind sehr selten und regeln die Löhne und Gehälter fast nie. Derzeit ist in Österreich kein Arbeitnehmer durch einen nationalen Entgelttarifvertrag abgesichert. In den letzten Jahren hat sich in Bezug auf die Tarifbindung nichts geändert.
Tarifbindung der Arbeitnehmer
Level | % (year) | Source |
All levels | 98 (2019) | OECD/AIAS ICTWSS database 2021 |
All levels | 96 (2013) | European Company Survey 2013 |
All levels | 94 (2019) | European Company Survey 2019 |
All levels | 92 (2010)* | Structure of Earnings Survey 2010 |
All levels | 94 (2014)* | Structure of Earnings Survey 2014 |
All levels | 94 (2018)* | Structure of Earnings Survey 2018 |
All levels | > 95 (2022) | National correspondent’s estimate for 2022 (private sector employees)** |
Notizen : * Prozentualer Anteil der Beschäftigten, die in örtlichen Einheiten arbeiten, in denen mehr als 50 % der Beschäftigten durch einen Tarifvertrag abgedeckt sind, im Vergleich zur Gesamtzahl der Beschäftigten, die an der Erhebung teilgenommen haben. OECD/AIAS ICTWSS, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/Amsterdam Institute for Advanced Labour Studies Institutionelle Merkmale von Gewerkschaften, Lohnfestsetzung, staatliche Interventionen und Sozialpakte.
Quellen: Eurofound, Europäische Unternehmenserhebung 2013 und 2019 (einschließlich Unternehmen des privaten Sektors mit Betrieben mit mehr als 10 Beschäftigten (NACE-Codes B-S); bei der Frage in der Umfrage handelte es sich um eine Multiple-Choice-Frage, bei der Mehrfachantworten möglich waren); Eurostat [earn_ses10_01], [earn_ses14_01], [earn_ses18_01] (einschließlich Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten (NACE-Codes B-S, ohne O), mit einer einzigen Antwort für jede örtliche Einheit); OECD/AIAS ICTWSS-Datenbank 2021. ** Vgl. auch Bönisch, 2008; OECD, 2012, S. 136.
In Österreich sind die mit Abstand wichtigste Ebene der kollektiven Tarifverhandlungen die sektoralen Tarifverhandlungen mit mehreren Arbeitgebern. Es werden nur sehr wenige Vereinbarungen auf Unternehmensebene verhandelt. Die Spitzenorganisationen der Sozialpartner sind zwar in der Lage, branchenübergreifendeGeneralkollektivverträge, aber sie sind äußerst selten und haben kaum praktische Relevanz. So wurde im September 1969 ein allgemeiner Tarifvertrag über die schrittweise Umsetzung der 40-Stunden-Woche unterzeichnet, der formal gültig ist, aber mit der Umsetzung desArbeitszeitgesetzes(_AZG) kurz darauf in Kraft trat. Angesichts der COVID-19-Pandemie wurde ein allgemeiner Tarifvertrag über COVID-19-Testungen am Arbeitsplatz geschlossen, der bis zum 31. August 2021 in Kraft blieb.
Ebenen der Tarifverhandlungen, 2022
| National level | Sectoral level | Company level | ||||
| Wages | Working time | Wages | Working time | Wages | Working time | |
| Principal or dominant level | x | x | ||||
| Important but not dominant level | ||||||
| Existing level | x | x | x | x | ||
In Österreich gibt es eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Parteien von Kollektivverträgen, die auf Branchenebene abgeschlossen werden, und Betriebsvereinbarungen, die auf Betriebsebene abgeschlossen werden. Während die Kernaufgabe der Festsetzung der Lohnsätze und der Höchstarbeitszeit im Wesentlichen in die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien fällt, beschränkt sich die Regelungskompetenz der Betriebsvereinbarungen fast immer auf soziale Angelegenheiten. Dazu gehören die Einführung von EDV-gestützten Personalinformationssystemen, die Festlegung der Anfangs- und Endzeiten der täglichen Arbeitszeit und die Planung von Pausen. In den Regelungsbereich von Betriebsvereinbarungen fallen können lediglich entgeltbezogene Angelegenheiten sind Entgeltansprüche für die Teilnahme anBetriebsversammlungen, Erfolgsbeteiligungspläne, betriebliche Altersversorgungseinrichtungen und dergleichen. Mit dieser Einschränkung soll der Vorrang der Tarifvertragsparteien im gesamten System der arbeitsrechtlichen Regelung sichergestellt werden. Im Falle von Delegationsklauseln, die in Tarifverträgen festgelegt sind, werden bestimmte Verhandlungskapazitäten in Bezug auf die Arbeitszeit und – in gewissem Umfang – das Entgelt an die betroffenen Parteien auf Unternehmensebene delegiert, jedoch ausschließlich innerhalb des durch die Branchentarifverträge vorgegebenen Rahmens.
Im Herbst finden die großen Verhandlungsrunden statt. Traditionell startet die modellbildende Metallindustrie im Oktober in die Herbstverhandlung. Seit einigen Jahren werden im Frühjahr immer mehr Tarifverträge ausgehandelt, etwa in der Elektronik-, Chemie-, Textil- und Papierindustrie. Darüber hinaus werden zwischen der Frühjahrs- und der Herbstrunde mehr sektorale Tarifverträge ausgehandelt, was zu ganzjährigen Verhandlungen führt.
Die Tarifverhandlungen in Österreich sind in der gesamten Wirtschaft stark abgestimmt. Dies liegt daran, dass eine Praxis der "Musterverhandlung" vorherrscht, bei der die Metallindustrie als erster großer Sektor, der die Lohnverhandlungen im jährlichen Verhandlungsprozess führt, eine führende Rolle einnimmt. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen haben eine erhebliche Signalwirkung für andere Sektoren und werden als Vorbild genommen. In der Praxis einigen sie sich jedoch oft auf einige der höchsten Löhne aller Sektoren, was auf die Stärke der Metallgewerkschaften zurückzuführen ist. Trotz dieses hohen Grades an Verhandlungskoordinierung ist eine zentralisierte Lohnfestsetzung kein Merkmal des österreichischen Kollektivverhandlungssystems.
Der Gesetzgeber sieht ein behördliches Verfahren vor, die sogenannteSatzungserklärung, mit der ein Tarifvertrag (oder ein Teil davon) auf im Wesentlichen gleichartige Arbeitsverhältnisse ausgedehnt werden kann, die nicht von einem Vertrag umfasst sind. Eine Verlängerungsanordnung wird von der BEA auf Antrag einer Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerorganisation erlassen, die zum Abschluss von Vereinbarungen befugt ist. In der Praxis ist ein solches Vorgehen relativ unüblich, da es nur wenige Beschäftigungsbereiche gibt, die nicht von einem Tarifvertrag erfasst werden. Ein prominentes Beispiel für einen Tarifvertrag, für den seit 2006 jährlich eine Verlängerungsverfügung erlassen wird, ist der Tarifvertrag für den privaten Gesundheits- und Sozialbereich. Infolge der Verlängerungsverfügung sind über 120.000 Mitarbeiter von der Vereinbarung betroffen.
In Österreich ist es nicht möglich, von Kollektivverträgen abzuweichen, um Löhne unterhalb des tariflichen Niveaus zu zahlen. Der Tarifvertrag legt den Rahmen für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen zu unternehmensspezifischen Regelungen fest. Die "Verteilungsoption" berechtigt die Sozialpartner, sich auf betrieblicher Ebene auf die Umverteilung eines bestimmten Betrags der gesamten Lohnsumme zu einigen. Diese kann vom Arbeitgeber nach bestimmten Kriterien flexibel auf bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern verteilt werden. Zu diesen Kriterien gehören beispielsweise, Arbeitnehmer mit sehr niedrigem Einkommen zu entschädigen, Arbeitnehmer für hohe Leistungen zu belohnen oder das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu verringern. Hinsichtlich dieser Verteilungsmöglichkeit ist in Kollektivverträgen eine Ausnahmeklausel enthalten, die besagt, dass in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die zu verteilende Menge reduziert oder auf null gesetzt werden kann.
In Österreich schreibt das ArbVG vor, dass ein Kollektivvertrag auch nach seinem Auslaufen, bis ein neuer Kollektivvertrag abgeschlossen wurde (und somit für die Arbeitsverhältnisse gilt, die vor Ablauf des Vertrags Gegenstand des Vertrages waren). Die Mehrzahl der Tarifverträge sieht jedoch ein Datum vor, an dem die Vereinbarung gültig wird, aber kein Ablaufdatum, und sie sind gültig, solange sie nicht von einer der Verhandlungsparteien gekündigt oder durch eine aktualisierte Fassung durch das Tarifverfahren ersetzt wurden. In der Regel finden die Tarifverhandlungen jährlich statt, so dass die meisten Vereinbarungen einmal im Jahr aktualisiert werden. Grundsätzlich ist es möglich, einen Tarifvertrag ein Jahr nach Abschluss des Tarifvertrags zu kündigen, was in der Praxis jedoch selten der Fall ist.
Nach dem ArbVG (§ 2 Abs. 2) bestehen Tarifverträge aus zwei Teilen, von denen der eine aus Vorschriften besteht, die das Rechtsverhältnis zwischen den Vertragsparteien regeln (schuldrechtlicher Teil), und der andere aus Vorschriften, die die Rechte und Pflichten des einzelnen Arbeitgebers und Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag regeln (normativer Teil)). Die Bestimmungen des ersten Teils beziehen sich ausschließlich auf gegenseitige Rechte und Pflichten sowie auf implizite Pflichten und enthalten eine Friedensklausel. Diese Friedensklausel besagt, dass während der Geltungsdauer eines Tarifvertrags von den Unterzeichnerparteien keine Arbeitskampfmaßnahmen ergriffen oder unterstützt werden dürfen, wenn sie auf die Änderung der im Tarifvertrag festgelegten Arbeitsbedingungen abzielen.
Eine Änderung der dienstaltersabhängigen Lohnsysteme war für die Arbeitgeber ein wichtiges Thema, da sie ihnen die Möglichkeit bot, das Lohngefälle zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern zu verringern. Bisher wurden im Banken- und Versicherungssektor sowie in mehreren Industriesektoren, aber auch im sozialen Bereich Vergleiche zu diesem Thema erzielt.
Ein relativ neues Thema betrifft die Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Tarifverträgen der letzten Jahre. Die gängigsten Beispiele sind die Anerkennung von Elternzeitzeiten bei Lohnerhöhungen (also Zulagen im Rahmen des Entgeltsystems) und die Umsetzung von Leistungen, die von der Betriebszugehörigkeit der Beschäftigten abhängig sind (wie z.B. Urlaubsansprüche oder Dienstjubiläumsgeld) bis zu zwei Jahren. In mehreren Tarifverträgen ist ein unbezahlter "Nachsorgeurlaub" vorgesehen. Dies ermöglicht es Eltern, bis zum dritten Geburtstag ihres Kindes in Urlaub zu bleiben (da dies mit dem Höchstzeitraum zusammenfällt, für den Kinderbetreuungsgeld in Anspruch genommen werden kann).
Darüber hinaus sind in den Tarifverträgen im Bereich der Sozialfürsorge Bestimmungen über den Pflegeurlaub (z. B. zur Pflege älterer Angehöriger) von mindestens 2 Monaten und maximal 12 Monaten enthalten, da der Gesetzgeber eine maximale Dauer des Urlaubs von 2 Wochen vorsieht (umgesetzt im Jahr 2020).
Eine "Freizeitoption" basiert auf einer Gewerkschaftsinitiative, die zunächst im Elektroniksektor und dann in der Bergbau- und Stahlindustrie durchgeführt wurde, mit dem ausdrücklichen Ziel, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben der Arbeitnehmer zu verbessern. Es ermöglicht ihnen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, anstatt Lohnerhöhungen in Anspruch zu nehmen. Ihr Ausmaß hängt unmittelbar von den Ergebnissen des jährlichen Lohnverhandlungsprozesses auf sektoraler Ebene ab und muss jährlich ausgehandelt werden.