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Abstract

Dieser Bericht befasst sich mit den Herausforderungen, denen sich die EU-Mitgliedstaaten und Norwegen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen, die nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 geflohen sind, gegenübersehen. Gegenstand der Untersuchung sind ihre Integration in den Arbeitsmarkt sowie ihr Zugang zu und ihre Erfahrungen mit öffentlichen Dienstleistungen, die für die gesellschaftliche Integration von entscheidender Bedeutung sind. Der Hauptzweck besteht darin, die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Bereichen der Integration – Beschäftigung, Wohnverhältnisse, Gesundheitsversorgung (einschließlich der psychischen Gesundheitsfürsorge), Zugang zu Kinderbetreuung und Sozialhilfe – zu untersuchen und aufzuzeigen. Der Bericht stützt sich auf Informationen, die Eurofound von den Mitgliedstaaten und Norwegen erhalten hat, und deckt Entwicklungen bis Mitte 2023 ab. Die folgenden Themen werden untersucht: Beschäftigungsniveau und Hindernisse für ukrainische Flüchtlinge beim Zugang zum Arbeitsmarkt, Maßnahmen zur Förderung der Integration in den Arbeitsmarkt sowie die Art und Weise, wie die Mitgliedstaaten und Norwegen den Zugang zu wichtigen Dienstleistungen (Wohnraum, Bildung, Gesundheitsversorgung und Sozialhilfe) ermöglichen, und die Herausforderungen, die dabei bewältigt werden müssen.

Key messages

Ukrainische Flüchtlinge in den EU-Aufnahmeländern und in Norwegen weisen eine hohe Beschäftigungsquote (von 11 % bis zu über 50 %) auf, insbesondere im Vergleich zu anderen Flüchtlingsgruppen. Faktoren, die dazu beitragen, sind die große ukrainische Diasporagemeinschaft in Polen und die Beherrschung der russischen Sprache, was sich insbesondere in Ländern mit großen russischsprachigen Bevölkerungsteilen wie Estland, Lettland und Litauen als vorteilhaft erweist.
 

Zwar wurden zur Bewältigung der Herausforderungen, mit denen ukrainische Flüchtlinge konfrontiert sind, innovative Maßnahmen ergriffen, doch ist nun ein systematischerer Ansatz erforderlich, um den Mangel an Kapazitäten, etwa bei der Kinderbetreuung, und andere Hindernisse, die die Teilnahme am Arbeitsmarkt verhindern, wie z. B. die Zeitdauer bis zur Anerkennung von Qualifikationen, anzugehen.
 

Die instabilen Wohnverhältnisse ukrainischer Flüchtlinge bestehen fort, wobei die Situation durch bereits vorhandene Wohnungsprobleme in den Mitgliedstaaten weiter verschärft wird. Langfristige Lösungen sind nötig, und bei allen umfangreichen Investitionen zur Bereitstellung von Wohnraum müssen auch die Bedürfnisse der Flüchtlinge berücksichtigt werden.
 

Die Schwierigkeiten, mit denen ukrainische Flüchtlinge beim Zugang zu bestimmten Gesundheitsdienstleistungen, etwa im Bereich der psychischen Gesundheit, konfrontiert sind, können ihre Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft verlangsamen. In Ländern wie Frankreich, in denen solche Dienstleistungen im Rahmen des Gesundheitsversorgungssystems bereitgestellt werden, scheint der Zugang weniger Probleme zu bereiten.
 

Solange der sich hinziehende Krieg viele Ukrainerinnen und Ukrainer davon abhält, in ihre Heimat zurückzukehren, wird sich ihr Beschäftigungspotenzial erhöhen, weil sie den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme der EU besser kennenlernen und ihre Sprachkenntnisse erweitern. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Arbeitskräftemangels wird es für die öffentlichen Arbeitsverwaltungen in der EU und andere Einrichtungen, die die Integration fördern, von entscheidender Bedeutung sein, diese Chance zu nutzen.

Executive summary

Dieser Bericht befasst sich mit den Herausforderungen, denen sich die EU-Mitgliedstaaten und Norwegen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen, die nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 geflohen sind, gegenübersehen. Untersucht werden die Integration in den Arbeitsmarkt, indem die einschlägigen Hindernisse ermittelt werden, sowie der Zugang zu und die Erfahrungen mit öffentlichen Dienstleistungen, die für die gesellschaftliche Integration von entscheidender Bedeutung sind. Der Hauptzweck dieses Berichts besteht darin, zu ermitteln, wie verschiedene Bereiche der Integration miteinander verknüpft sind. Die Wohnverhältnisse, der Gesundheitszustand (einschließlich psychischer Gesundheit) und der Zugang zu Kinderbetreuung, Bildung und Sozialhilfe können sich allesamt stark auf die Beschäftigungsaussichten und die gesellschaftliche Integration auswirken, und ein Arbeitsplatz kann wiederum zu einer besseren sozialen Eingliederung führen. Dieser Bericht befasst sich nicht nur mit den bestehenden Unterstützungsmaßnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktintegration, sondern auch mit der Frage, wie die Mitgliedstaaten und Norwegen den Zugang zu wichtigen öffentlichen Dienstleistungen ermöglichen.

Der Bericht stützt sich auf Informationen, die Eurofound von den Mitgliedstaaten und Norwegen erhalten hat, und deckt Entwicklungen bis Mitte 2023 ab.

 

Politischer Kontext

Im Zuge des Massenzustroms von Flüchtlingen aus der Ukraine aktivierte die EU ihre Richtlinie über den vorübergehenden Schutz und gewährte den ukrainischen Vertriebenen sofortigen vorübergehenden Schutz; im September 2023 genossen 4,2 Millionen Menschen in der EU vorübergehendem Schutz. Dieser Zustrom unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem Zustrom der Asylbewerber, die 2015 in die EU kamen. So sind diesmal beispielsweise hauptsächlich Frauen und Kinder angekommen, die meisten Erwachsenen verfügen über ein hohes Bildungsniveau, die Flüchtlinge sprechen hauptsächlich Ukrainisch oder Russisch, wobei diese Sprachen jenen ähneln, die in mehreren Aufnahmeländern gesprochen werden, und in Europa lebt bereits eine große ukrainische Diasporagemeinschaft. Dennoch brachte die Ankunft der Flüchtlinge neue Herausforderungen mit sich, insbesondere in Ländern, die weniger Erfahrung mit der Aufnahme von Flüchtlingen haben.

 

Mit der Richtlinie über den vorübergehenden Schutz verfügt die EU über einen harmonisierten Rechtsrahmen, der dazu beiträgt, den Zugang zu Beschäftigung und wichtigen öffentlichen Dienstleistungen sicherzustellen. Die Anwendung der Richtlinie wurde um ein weiteres Jahr, d. h. bis März 2025, verlängert. Um die Umsetzung der Richtlinie zu erleichtern, übernimmt die EU eine aktive Rolle bei der Koordinierung, indem sie Empfehlungen, Leitlinien für bestimmte Bereiche, Möglichkeiten zum Austausch bewährter Verfahren und finanzielle Unterstützung bereitstellt. Mit diesen Instrumenten leistet die EU Unterstützung in vielen verschiedenen in diesem Bericht behandelten Bereichen. Auch die einzelnen Mitgliedstaaten haben Erhebliches geleistet; bis Mitte 2023 hatten sie EU-Mittel in Höhe von 17 Mrd. EUR in Anspruch genommen. Um die durch den Krieg verursachte Unsicherheit zu verringern und die Zukunftsperspektiven der Ukraine zu verbessern, wurde ihr außerdem der Status eines EU-Bewerberlandes zuerkannt.

 

Wichtigste Erkenntnisse

  • Die Integration ukrainischer Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt scheint im Allgemeinen erfolgreich gewesen zu sein, da sie eine hohe Beschäftigungsquote aufweisen, insbesondere im Vergleich zu anderen Flüchtlingsgruppen. Die Quote reicht von über 10 % bis weit über 40 % in manchen Ländern (sogar bis 50 % oder darüber hinaus). Diese Beschäftigungsquote dürfte weiter steigen.

 

  • Wie bei anderen Flüchtlingsgruppen gibt es jedoch mehrere Hindernisse, die die Integration in den Arbeitsmarkt erschweren (Sprachbarriere, Informationsmangel, fehlendes soziales Netz). Die mangelnde Verfügbarkeit erschwinglicher Kinderbetreuungseinrichtungen, die sich in niedrigen Einschreibungsquoten (zwischen 42 % und 71 %) widerspiegelt, ist ein weiteres wesentliches Hindernis, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Frauen mit Kindern die Mehrheit unter den ukrainischen Flüchtlingen darstellen.

 

  • Zur Lösung dieser Probleme wurden viele innovative Maßnahmen eingeführt (z. B. die Aufhebung einiger Beschränkungen, die den Zugang zu Kinderbetreuung begrenzen, die Lockerung der strengen Sprachanforderungen in bestimmten Berufen, die Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren zur Anerkennung von Qualifikationen und maßgeschneiderte Sprachkurse).

 

  • Der Arbeitskräftemangel scheint ein wichtiger Grund für Arbeitgeber zu sein, ukrainische Flüchtlinge einzustellen. Initiativen von Arbeitgeberverbänden und einzelnen Arbeitgebern/Unternehmen leisten Unterstützung bei der Einstellung von Flüchtlingen. Die öffentlichen Arbeitsverwaltungen regen Arbeitgeber aktiv dazu an, Arbeitsplätze für Flüchtlinge bereitzustellen.

 

  • Während viele von ihnen arbeiten, konnten die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer bisher keine stabile Beschäftigung finden: Befristete Arbeitsverhältnisse oder Gelegenheitsarbeiten sind nach wie vor vorherrschend, und ukrainische Flüchtlinge sind für die meisten dieser Arbeitsplätze überqualifiziert. Viele Flüchtlinge verfügen daher nur über ein unsicheres Einkommen, was dazu führt, dass sie auf Sozialhilfe angewiesen sind.

 

  • Was die reguläre Bereitstellung von Leistungen und Diensten betrifft, wurde diese nicht unbedingt an die besonderen Bedürfnisse von Flüchtlingen angepasst. Zum Beispiel ist es unter Umständen nicht angemessen, die Gewährung von Leistungen an die Bereitschaft zur Annahme einer Arbeit zu knüpfen, wenn die Flüchtlinge nicht ausreichend auf den Zugang zum Arbeitsmarkt vorbereitet sind. Darüber hinaus können mangels maßgeschneiderter Maßnahmen Vertriebene Ansprüche auf Dinge verlieren, auf die sie (aufgrund eines unsicheren Einkommens oder einer unsicheren Wohnsituation) auch nach der Aufnahme einer Beschäftigung noch angewiesen sind.

 

  • Die ukrainischen Flüchtlinge in den Aufnahmemitgliedstaaten und in Norwegen haben Bedürfnisse, die noch nicht befriedigt sind, darunter die Integration in lokale Gemeinschaften (z. B. durch außerschulische Aktivitäten der Kinder) und der Zugang zu lebenswichtigen Dienstleistungen (z. B. Verkehrsdienstleistungen). Diese Bedürfnisse werden durch öffentliche Dienstleistungen nur bis zu einem gewissen Grad befriedigt und Nichtregierungsorganisationen reagieren aktiv auf diesen Bedarf. Die nötige Abdeckung und Kontinuität können damit jedoch nicht gewährleistet werden.

 

  • In den meisten Mitgliedstaaten sind die öffentlichen Dienstleistungen durch langfristige Herausforderungen gekennzeichnet, was zu instabilen Wohnverhältnissen (zum Teil aufgrund bereits bestehender Wohnraumprobleme), Nichtverfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen, Kapazitätsmängel in Schulen und Schwierigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung führt.

 

Empfehlungen für die Politik

  • Der beispiellos starke Zustrom von ukrainischen Flüchtlingen verstärkte die bereits bestehenden Probleme, die die Länder mit ihren öffentlichen Dienstleistungen haben. Es sind viele Initiativen geplant, um diese Herausforderungen anzugehen, aber sie helfen möglicherweise nicht den ukrainischen Flüchtlingen, die spezifische und gezielte Unterstützung benötigen. Langfristige und erschwingliche Lösungen für die Wohnraumproblematik sind nötig, um für Stabilität zu sorgen, Kontinuität in Bezug auf die Bildung für Kinder und Jugendliche zu gewährleisten, die Integration von Flüchtlingen in die lokalen Schulsysteme und Gemeinschaften zu fördern und die Aussichten auf eine stabilere Beschäftigung unter Erwachsenen zu verbessern.

 

  • Zur Koordinierung allgemeiner Sozialleistungen und zur Anpassung der Unterstützungsmaßnahmen an die aktuellen und neu auftretenden Bedürfnisse der ukrainischen Flüchtlinge sind systematischere Anstrengungen erforderlich. Es besteht Spielraum für eine verbesserte Koordinierung der öffentlichen Dienstleistungen. Einige Mitgliedstaaten haben damit begonnen, spezielle Stellen oder Agenturen für diesen Zweck einzurichten; deren Reichweite und Kapazitäten sind bislang jedoch noch begrenzt.

 

  • Die derzeitigen Initiativen sind aufgrund der instabilen Finanzierung der Nichtregierungsorganisationen, die diese Initiativen ins Leben gerufen haben, oftmals nur kurzfristig angelegt und von sporadischer Natur. Internationale Organisationen leisteten Unterstützung, vor allem in Ländern, die wenig Erfahrung mit der Aufnahme von Flüchtlingen haben (und auch wenig Finanzmittel dafür bereitstellen können). Es stellt sich jedoch die Frage, wie nachhaltig dies ist und inwieweit die Regierungen (und lokalen Gebietskörperschaften) diese Arbeit fortsetzen und in ihre Systeme integrieren können. Was die Finanzierung betrifft, so könnte eine Neuplanung der EU-Mittel unter sorgfältiger Berücksichtigung der Effizienz und Wirksamkeit der Ausgaben erforderlich sein.

 

  • Bei der Beurteilung der Eignung allgemeiner Sozialschutzmaßnahmen für eine wirksame Integration ukrainischer Flüchtlinge müssen deren Angemessenheit und Verknüpfung mit Maßnahmen zur Bereitstellung von Wohnraum berücksichtigt werden, um das Problem des instabilen Einkommens anzugehen (z. B. durch Mindesteinkommensregelungen, die den Zugang zu geeigneten öffentlichen Dienstleistungen ermöglichen). Die Beständigkeit und Angemessenheit der Einkommensunterstützung sollte überwacht werden, um feststellen zu können, ob die Unterstützungsmaßnahmen angepasst und aktualisiert werden müssen, wenn sich die Situation eines Flüchtlings ändert (z. B. weil er nach der Aufnahme einer Beschäftigung keinen Anspruch mehr auf bestimmte Arten von Unterstützung hat).

The report contains the following lists of tables and figures.

List of tables

  • Table 1: Women’s share of the foreign-born population in 2021, among all Ukrainian refugees in 2022 and among working age Ukrainian refugees in May 2023 (%)
  • Table 2: Estimated employment rates of Ukrainian refugees under temporary protection in selected Member States
  • Table 3: Share of refugees by type of accommodation, selected countries (%)
  • Table 4: Examples of housing schemes provided mainly by private households
  • Table 5: Specific problems with childcare services in selected countries
  • Table 6: Challenges encountered when accessing/attending compulsory schooling in selected countries
  • Table 7: Indicative data (estimates) on the enrolment of Ukrainian refugee children in kindergartens/schools in selected countries
  • Table 8: Coverage of healthcare services in selected countries
  • Table 9: Key difficulties/obstacles faced when accessing healthcare in selected countries
  • Table 10: Challenges of accessing mental health services in selected countries
  • Table A1: National surveys in the Member States and Norway
  • Table A2: Sectoral pattern: Top three sectors employing Ukrainian refugees by their ranking in each selected country
  • Table A3: List of correspondents who contributed to the research

List of figures

Number of pages
78
Reference nº
EF23030
ISBN
978-92-897-2394-7
Catalogue nº
TJ-05-24-200-EN-N
DOI
10.2806/479251
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